Eskapismus: Ab wann wird Realitätsflucht zur Gefahr?

Eskapismus: Ab wann wird Realitätsflucht zur Gefahr?

Eskapismus bezeichnet die Flucht vor der Realität – durch Videospiele, Musik oder Serien zum Beispiel. Aber wie viel Eskapismus ist noch gesund und ab wann wird die Realitätsflucht zum ernsthaften Problem?

Nach Feierabend durch TikTok scrollen, eine Serie binge-watchen oder stundenlang Videospiele spielen: Wusstest du, dass du mit diesem Verhalten Eskapismus betreibst? Bis zu einem gewissen Grad ist es völlig normal, sich von der "echten" Welt ablenken zu wollen – vor allem, wenn die Nachrichten voller Hiobsbotschaften sind. Wer möchte sich schon den ganzen Tag mit Corona, Krieg, Klimakrise und Inflation beschäftigen? Doch wenn wir uns zum Schutz unserer mentalen Gesundheit in unserer imaginären Bubble verlieren, kann es zum Problem werden. Was Eskapismus genau ist, ab wann er bedenklich wird und was du gegen ungesunden Eskapismus tun kannst, verraten wir dir hier. 

Was ist Eskapismus?

Laut dem Duden leitet sich der Begriff "Eskapismus" vom englischen Wort "escape" ab, was übersetzt "flüchten" oder "entfliehen" bedeutet. Menschen, die Eskapismus betreiben, suchen nach einer Möglichkeit, ihren Alltag für einen Moment zu vergessen und der unangenehmen Realität zu entfliehen. Das kann ganz bewusst oder unbewusst passieren. Synonyme für Eskapismus sind Realitätsflucht, Weltflucht oder Wirklichkeitsflucht. Eskapismus äußert sich typischerweise durch Aktivitäten, die mit Fantasie und Unterhaltung zu tun haben.

Good to know: Eskapismus ist kein Phänomen der modernen Welt. Bereits in der Epoche der Romantik gegen Ende des 18. und späten 19. Jahrhunderts flohen die Menschen vor der Realität. Deutschland war damals in zahlreiche Kleinstaaten aufgeteilt, ein Einheitsgefühl gab es nicht. Auf der Suche nach einer Identität und aus Unzufriedenheit mit der Politik flüchteten sich die Menschen ins Unpolitische. Sie idealisierten die Natur, das Emotionale sowie die Fantasie.

Formen von Eskapismus

Eskapismus hat verschiedene Formen und kann sich durch diverse Aktivitäten äußern, die nicht alle unbedingt schädlich sind. Sich von seinen Problemen abzulenken, ist laut Psychologen total normal und sogar gesund! Und mal ehrlich: Wer schaut am Abend nicht gerne TikTok-Videos oder gönnt sich eine neue Folge seiner Lieblingsserie, um auf andere Gedanken zu kommen? Weitere Formen von Eskapismus sind:

  • Medienangebote wie Bücher, Filme, Videospiele und Fernsehen
  • Internet-Konsum
  • Tagträumen
  • Meditieren
  • Essen
  • Flucht in die Arbeit
  • Alkohol- und Drogenkonsum

Wann wird Eskapismus gefährlich?

Die oben genannten Formen von Eskapismus sind (abgesehen vom Alkohol- und Drogenkonsum natürlich) in Maßen unbedenklich. Jeder möchte sich von Zeit zu Zeit eine Pause von der "echten" Welt gönnen und neue Kraft sammeln. Erst die Dosis macht das Gift – und die Intention. Vermeidest du die Realität, weil du dich überfordert fühlst? Ziehst du dich immer wieder in eine Scheinwirklichkeit zurück, weil du mit deinem Leben aktuell nicht klarkommst? Dann könnte dein eskapistisches Verhalten krankhaft sein. Die Grenze zwischen Ablenkung zur Entspannung und Ablenkung zur Wirklichkeitsflucht ist nicht immer eindeutig. Laut Psychologie zeigt sich problematischer Eskapismus unter anderem an folgenden Symptomen:

  • Isolation: Krankhafte Eskapisten flüchten vor der Wirklichkeit und isolieren sich als Folge zunehmend von ihren Mitmenschen. Sie können (oder wollen) nicht mit Kritik und Widerspruch umgehen. Dieses Verhalten führt in eine Abwärtsspirale, in der sich die Betroffenen immer mehr abkapseln, bis sie kaum soziale Kontakte haben und sich einsam fühlen. Das führt wiederum zu vermehrtem Eskapismus in Scheinwelten. Ein Teufelskreis.
  • Realitätsverlust: Wenn Menschen zunehmend in einer Fantasiewelt leben – zum Beispiel, wenn sie sich mit fiktiven Figuren aus Filmen oder Videospielen unterhalten und so tun, als wären sie ein Teil dieser imaginären Welt – können sie Realität und Fiktion irgendwann nicht mehr unterscheiden. Die Grenzen verschwimmen. 
  • Vernachlässigung: Krankhafte Eskapisten sind so stark in ihrer eigenen Welt gefangen, dass sie ihre Verpflichtungen im Alltag vernachlässigen. Dazu zählen zum Beispiel die Arbeit, soziale Kontakte, Körperhygiene, aber auch vermeintlich kleine Dinge wie den Müll rausbringen, Staubsaugen oder der Abwasch.
  • Ziellosigkeit: Wenn jemand keine Ziele mehr im Leben verfolgt, dann kann das ein weiteres Symptom für ungesunden Eskapismus sein.
  • Ängste: Durch die Flucht vor der Wirklichkeit verschwinden Probleme und Sorgen nicht – im Gegenteil. Oft werden sie sogar schlimmer. Das wiederum verstärkt bestehende Ängste, die sich zu regelrechten Phobien entwickeln können.

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Darum entfliehen Menschen der Realität

Nun stellt sich noch die Frage, warum einige Menschen anfälliger für ungesunden Eskapismus sind als andere. Dass wir uns in unserer schnelllebigen Gesellschaft, in der alle möglichen Nachrichten ständig auf uns einprasseln, überfordert fühlen, ist zunächst kein Wunder. Bestimmte seelische Faktoren können dieses Gefühl noch weiter verstärken und zur ungesunden Vermeidung der Wirklichkeit führen. Dazu gehören:

  • Minderwertigkeitskomplexe: Wenn du dich selbst nicht magst und denkst, dass du weniger Wert bist als andere, dann flüchtest du dich vermutlich in andere Realitäten, in denen du so akzeptiert wirst, wie du bist.
  • Unzufriedenheit: Bist du mit deinem Leben unzufrieden und weißt nicht, wie du etwas ändern kannst? Dann scheint Eskapismus die einzige Möglichkeit zu sein, wieder glücklich zu werden – zumindest für einen kurzen Augenblick.
  • Hohe Anforderungen: Wer ständig gestresst ist, sehnt sich nach Entspannung. Kein Wunder also, dass Stress und hohe Anforderungen im Alltag oft zur Realitätsflucht führen.
  • Unterforderung: Auch Unterforderung und Langeweile können dafür sorgen, dass man den Wunsch verspürt, sich in spannende Scheinwirklichkeiten zu flüchten.
  • Psychische Erkrankungen: Krankheiten wie Depressionen, Angststörungen oder Borderline erschweren einem das Leben und können dafür sorgen, dass man sich weniger mit der "echten" Welt befassen möchte. 
  • Traumata: Um Traumata und Schicksalsschläge zu verdrängen, entziehen sich viele Menschen der Realität. So können sie zumindest für einen Moment ihre Trauer vergessen. Dieses Verhalten ist jedoch alles andere als gesund. Suche dir unbedingt professionelle Hilfe, bevor dich deine Probleme von innen auffressen.

So entkommst du dem Eskapismus

Wie du siehst: Eskapismus kann zum ernsthaften Problem werden. Bist du einmal tief in der Wirklichkeitsflucht gefangen, ist es schwer, aus der Scheinwelt herauszukommen – aber nicht unmöglich. Wenn du merkst, dass du dich zunehmend von der Welt abkapselst, kannst du etwas dagegen unternehmen. Natürlich ist es einfacher gesagt als getan, aber es ist nicht unmöglich. Wichtig ist, dass du zunächst dein eigenes Verhalten analysierst. Überlege, in welchen Situationen du der Realität entfliehst und wie oft es vorkommt. Sei ehrlich mit dir selbst! 

Im nächsten Schritt solltest du dir Gedanken darüber machen, inwiefern dich Eskapismus beeinflusst. Vernachlässigst du deine Freunde und ihre Bedürfnisse? Kommst du im Job oder Studium nicht mehr hinterher? Gestehe dir bewusst ein, was in deinem Leben aktuell nicht gut läuft und denke auch darüber nach, warum du eigentlich unzufrieden bist. Anhand dieser Erkenntnis kannst du nun aktiv danach handeln und Veränderungen in deinem Leben vornehmen, damit du glücklicher wirst. Um den Eskapismus zu begrenzen, solltest du dir jeden Tag ein zeitliches Limit setzen, wann du der Realität entfliehst und wann du dich aktiv mit ihr auseinandersetzt. Das mag am Anfang schwierig sein, doch je öfter du es versuchst, desto einfacher wird es.

Sollte die Selbsttherapie nicht funktionieren, raten wir dazu, sich professionelle Hilfe in Form einer Psychotherapie zu holen. Welche Therapieformen es gibt und wie du einen passenden Therapeuten findest, verraten wir dir übrigens in diesem Artikel. Der Therapeut kann deine Situation von außen beurteilen, mögliche Ursachen definieren und mit dir gemeinsam an Lösungen arbeiten. Du schaffst das!

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Verwendete Quellen: lexikon.stangl.eu, duden.de

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