Ein voller Terminkalender, Streit mit dem Partner oder der Partnerin oder eine wichtige Präsentation auf der Arbeit: In unserem Alltag lauern viele Stresssituationen auf uns, die unser Stresslevel in die Höhe treiben. Die Auswirkungen des ständigen Stresses sind sehr belastend: Schlafstörungen, Depressionen oder häufiges Kranksein und nur wenige der möglichen Folgen von Stress. Willst du Stress reduzieren, dann solltest du dich mit dem sogenannten Vagusnerv auseinandersetzen. Wo dieser Nerv ist, welche Funktion er hat und warum er so wichtig zur Stressreduktion ist, liest du hier.
Was ist der Vagusnerv?
Um zu verstehen, was eigentlich der Vagusnerv ist und warum er so wichtig für unseren Körper ist, müssen wir erst einmal erklären, wie genau er aufgebaut ist und welche Funktionen er hat. Dafür gibt es ein kleines Biologie Einmaleins an dieser Stelle. Aber keine Sorge, du wirst nicht getestet.
Anatomie
Betrachten wir die Nerven des menschlichen Körpers anhand ihrer Aufgabe, lassen sich zwei Nervensysteme identifizieren: das somatische Nervensystem, das dem Menschen zur bewussten Wahrnehmung des eigenen Körpers verhilft (zum Beispiel Muskelaktivität) und das vegetative Nervensystem, das Abläufe umfasst, die der Mensch nur unbewusst beeinflussen kann (zum Beispiel Herzschlag).
Zum Letzteren zählt auch der Vagusnerv. Hier gibt es zwei wichtige Leitungsbahnen: den Sympathikus, auch Stress- und Leistungsnerv genannt und den Parasympathikus, auch Ruhe- und Entspannungsnerv genannt. Der Vagusnerv zählt zum Parasympathikus und ist der zehnte von zwölf Hirnnerven. Er beginnt im Hirnnervenkern im Gehirn (Nucleus dorsalis nervi vagi) und verläuft durch den Hals, verästelt sich zu den Ohren hin, in den Kehlkopf, durch den Brustraum und durch das Verdauungssystem bis in den Bauchraum. Somit ist er der größte Nerv des Parasympathikus. Da er das Gehirn mit dem Bauch verbindet, spielt er bei verschiedenen Abläufen im Körper eine wichtige Rolle. Zu diesen zählen zum Beispiel die Verdauung, die Herzaktivität oder die Lungenfunktion.
Funktionen
Als Teil des Parasympathikus ist der Vagusnerv – vereinfacht gesagt – für Entspannung und Ruhe verantwortlich. Sein Gegenspieler ist der Sympathikus, der Leistung und Stress beeinflusst. Der Vagusnerv zählt zu dem vegetativen Nervensystem, das autonom arbeitet und sich nicht aktiv beeinflussen lässt. Er wirkt sich auf gleich mehrere Funktionen des Körpers aus. Hierzu zählen:
- Verdauung
- Puls
- Atmung
- Immunreaktion
- Sprache
- Geschmack
- Schwitzen
- Stimmungsregulierung
- Bestimmte Körperreflexe
Besonders aber die Stressregulation zählt zu den wichtigsten Funktionen des Nervs. Begegnen wir einer Stresssituation durch eine potenzielle Bedrohung, löst das in uns entweder eine Kampfreaktion oder eine Fluchtreaktion aus. Diese Reaktion wird von dem sogenannten sympathischen Nervensystem gesteuert. Das sogenannte parasympathische Nervensystem, zu dem auch der Vagusnerv zählt, hilft dem Körper dabei, anschließend wieder in den Ruhemodus zu wechseln.
Doch: Wird die Aktivität des Nervs gestört, schafft er es nicht schnell genug, wieder in den Ruhezustand zu wechseln. Hast du also eine geringe Vagusnervenaktivität, bedeutet das auch, dass du öfter und lang anhaltender gestresst bist als eine Person, die einen sehr aktiven Vagusnerv hat. Bei geringer Aktivität des Nervs kann es sich also lohnen, den Vagusnerv gezielt zu stimulieren. Das kann dabei helfen, Stress besser abzubauen.
Diesen Einfluss hat der Vagusnerv auf den Körper
Im Normalfall haben wir alle einen sehr aktiven Vagusnerv. Begegnen wir also einer Gefahrensituation, aktiviert der Sympathikus den "Fight or Flight"-Reflex und lässt das Stresslevel in die Höhe schießen. Um wieder für Ruhe zu sorgen und das Stresshormon Cortisol zu reduzieren, schaltet sich dann der Parasympathikus ein und aktiviert den Vagusnerv.
Ist der Vagus stark ausgeprägt, kann der Körper nach einer Stresssituation schnell wieder erholen. Ein aktiver Vagusnerv geht auch mit einem erhöhten Serotonin- und Dopaminspiegel einher, was wiederum für Entspannung und Wohlbefinden sorgt.
Ein schwacher Vagus sorgt dafür, dass wir uns nach einer Stresssituation nur schwer wieder erholen. Er geht auch mit einem höheren Risiko für Entzündungen und einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit einher.
Warum es sich lohnt, den Vagusnerv zu aktivieren
Die Stimulation des Vagusnerves hat gleich mehrere Vorteile. Der wohl größte Vorteil: Ein aktiver Vagus hilft uns, Stress zu reduzieren und trägt so zu unserer Gesundheit bei. Bist du besonders häufig Stress ausgesetzt, ist dein Cortisol-Level (Stresshormon) erhöht. Das kann das Risiko für diverse Beschwerden erhöhen. Hierzu zählen…
- Verdauungsbeschwerden
- Herzerkrankungen
- Hoher Blutdruck
- Schlafstörungen
- Gewichtszunahme
- Angststörungen
- Depressionen
- Zyklusprobleme
Vagusnerv stimulieren und Stress reduzieren: So gehts
Es gibt Situationen, da kann die Stimulation des Vagus sehr hilfreich sein. Besonders oft kommt diese Therapie zum Einsatz bei…
- Migräne (mit oder ohne Aura)
- Medikamenteninduzierter Kopfschmerz (Medikamentenkopfschmerz, Übergebrauchkopfschmerz)
- Cluster-Kopfschmerz
- Spannungskopfschmerz
Merkst du diese Symptome oder fühlst dich regelmäßig sehr gestresst, kann es sich lohnen, den Vagusnerv bewusst zu aktivieren. Dafür gibt es verschiedene Methoden und Übungen. Diese sind relativ simpel und viele der Techniken wendest du eventuell sogar ganz reflexartig an. Sie können dir helfen, Stress zu reduzieren, Entspannung zu fördern und so deine allgemeine Gesundheit zu verbessern.
10 Übungen für den Vagusnerv
1. Vagusnerv massieren
Der Vagusnerv verläuft unter anderem im Halswirbelbereich nahe der Halsschlagader. Willst du ihn aktivieren, kannst du ihn hier gezielt massieren. Lege beide Hände seitlich außen an den Hals und massiere dich hier mit kreisenden Bewegungen zwischen Ohr und Schlüsselbein. Die manuelle Stimulation sollte mit leichtem Druck erfolgen und kann unter Umständen Stress reduzieren.
2. Augenmassage
Vom Gehirn ausgehend verläuft der Vagus im Kopf hinter den Augen. Deshalb kann auch hier gezielter Druck stimulierend wirken. Lege dafür die Handballen auf beide Augen und übe für circa 60 Sekunden leichten Druck aus. Es sollte nicht wehtun, aber zu spüren sein. Wenn du magst, kannst du auch leicht die Augen reiben, wie Kinder, die müde sind.
3. Summen, singen, schnurren, brummen
Der Vagus verläuft auch durch den Kehlkopf. Deshalb kann auch die Aktivierung des Kehlkopfes durch Summen, Brummen, Singen oder Schnurren den Nerv stimulieren. Du kannst einfach für 20 bis 30 Minuten deine liebsten Melodien vor dir her summen und dadurch dein Wohlbefinden steigern.
4. Gurgeln
So wie das Summen oder Singen funktioniert die Vagusstimulation auch durch Gurgeln. Nimm einen Schluck (Salz-) Wasser in den Mund und Gurgel es für einige Minuten. Tipp: Wählst du kaltes Wasser, aktivierst du den Vagusnerv gleich doppelt, denn Kältereize können ebenfalls zur Stimulation beitragen.
5. Atemübungen
Kontrollierte Atemübungen können das Nervensystem beruhigen und dadurch Stress abbauen. Es gibt verschiedene Atemtechniken, die du anwenden kannst, wenn du dich gestresst fühlst. Hierzu zählt unter anderem das sogenannte „Box Breathing“. Hierfür atmest du für vier Sekunden durch die Nase ein, hältst den Atem für weitere vier Sekunden, atmest dann für ebenfalls vier Sekunden durch den leicht geöffneten Mund aus und hältst noch einmal den Atem für vier Sekunden, ehe du erneut einatmest. Das Ganze wiederholst du mehrmals.
6. Yoga
Wie vielen bereits bekannt ist, kann Yoga eine entspannende und beruhigende Wirkung auf den Körper und Geist haben. Die Übungen können Stress reduzieren und das Wohlbefinden steigern. Sie werden mit einer kontrollierten Atmung verknüpft und sorgen so für eine doppelte Entlastung. Das langsame Atmen stimuliert den Vagus. Praktizierst du zusätzlich den OM Gesang, aktivierst du über den Kehlkopf, zusätzlich den Nerv.
7. Kalt duschen
Kälte aktiviert den Parasympathikus, zu dem auch der Vagusnerv zählt, wohingegen Wärme den Sympathikus in Gang bringt. Kannst du dich nicht dazu überwinden, direkt unter die eiskalte Dusche zu springen, dusche erst einmal warm und beende die Dusche dann mit kaltem Wasser. Damit der Kreislauf nicht einknickt, kannst du die Wassertemperatur langsam reduzieren oder das kalte Wasser erst einmal über Arme und Beine laufen lassen, bis sich der Körper daran gewöhnt hat.
8. Sport
Auch Bewegung tut dem Körper gut. Körperliche Aktivität sorgt dafür, dass Botenstoffe wie Dopamin (Glückshormon) ausgeschüttet werden, was durch den Vagusnerv initiiert wird. Dabei ist es egal, ob du intensiven Sport oder nur eine moderate Bewegung betreibst. Hauptsache, du bewegst dich regelmäßig und tust so deiner Gesundheit etwas Gutes.
9. Probiotika
Unsere Darmflora besteht aus Hunderten Arten von Bakterienstämmen, die zur Widerstandsfähigkeit des Darms beitragen. Da der Vagus das Gehirn und den Darm miteinander verbindet, geht man davon aus, dass die Darmbakterien auch die Gehirnfunktion beeinflussen können. Um für eine gesunde Darmflora zu sorgen, kannst du sogenannte Probiotika zu dir nehmen. Die Lebensmittel mit lebenden Mikroorganismen stärken den Darm und das Immunsystem.
10. Beziehungen pflegen
Zu guter Letzt: Pflege den Kontakt zu den Personen, die dir lieb sind. Denn dadurch werden positive Emotionen ausgelöst, die deiner psychischen Gesundheit und somit auch dem Vagus guttun. Fühlst du dich danach, gesellig zu sein, dann triff dich mit Freunden oder Familie und verbring eine schöne Zeit mit ihnen. Höre aber auch auf deinen Körper, wenn er sich zurückziehen will und seine Ruhe braucht.
Wie du den Vagusnerv gezielt massieren kannst, erfährst du hier im Video.

Verwendete Quellen: digestio.de, monkeyfit-de, die-schmerzpraxis.de