
Kristina Hänel ist die einzige Ärztin, die in der hessischen Kleinstadt Gießen Schwangerschaftsabbrüche durchführt. Nach § 218 StGB ist dies unter Berücksichtigung der Beratungsregelung seit 1976 bis zur zwölften Schwangerschaftswoche legal möglich. Jetzt steht sie deswegen trotzdem vor Gericht. Der Grund: Sie weißt auf ihrer Website in ihrem Leistungsspektrum auf das Thema „Schwangerschaftsabbruch“ hin. Der am Freitag beginnende Prozess zeigt: Wir müssen die Gesetzgebung zum Thema Abtreibung dringend neu überdenken!
Der Fall Hänel: Die Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbrüchen ist wenig liberal
Schauen wir auf die Fakten: In Deutschland haben bis Mitte 2017 bereits mehr als 50.000 Frauen abgetrieben. Nach der derzeitigen Gesetzgebung wird eine Abtreibung noch immer als Straftat bezeichnet, die nur unter bestimmten Voraussetzungen nicht rechtlich verfolgt wird. Im deutschen Strafgesetzbuch (StGB) lautet der Wortlaut bis heute wie folgt:
§218 StGB:Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (…)
Seit 1976 bestehen unter § 218a StGB Ausnahmeregelungen, die eine Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs festlegen und ihn somit legal möglich machen. So etwa:
die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen,
der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und
seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.
Die Folge: Frauen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden, werden noch immer stigmatisiert. Zugang zu Informationen fällt Betroffenen schwer.
Genau aus diesem Grund bietet Kristina Hänel über ihre Website Frauen Informationen über alle Voraussetzungen, Methoden und Risiken einer Abtreibung - sachlich und medizinisch korrekt. Die Ärztin sieht sich in der Pflicht, betroffene Frauen über den medizinischen Eingriff einer Abtreibung aufzuklären und damit auch eine medizinisch korrekte Versorgung sicherzustellen.
Doch ausgerechnet das machen ihr verschiedene Abtreibungsgegner, wie etwa die Initiative „Nie wieder!“ nun zum Vorwurf. Sie zeigten die Ärztin bereits im vergangenen Jahr an, weil sie öffentlich für Abtreibungen „werbe“. Hänel und ihre Kolleginnen und Kollegen sind das gewöhnt. Immer wieder werden sie von sogenannten „Pro Life Aktivisten“ angezeigt – zu einem tatsächlichen Prozess kam es bisher allerdings nie.
Bis jetzt. Denn ab dem 24. November muss sich die Ärztin nun tatsächlich vor Gericht verantworten, da sie angeblich gegen den Folgeparagraf 219a StGB verstoßen hat, der besagt, dass man für den Abbruch von Schwangerschaften nicht öffentlich Werbung machen darf.
„Werbung“ bedeutet in Hänels Fall, dass dort, wo sie auf ihrer Internetseite ihr Leistungsspektrum auflistet, auch das Wort „Schwangerschaftsabbruch“ steht. Wer auf den Link klickt, kann seine E-Mail-Adresse angeben und erhält dann Informationsmaterial zugesendet.
Auf meiner Homepage ermögliche ich Interessierten, über einen Link Informationen zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch zu erhalten. Ich informiere über die gesetzlichen Voraussetzungen sowie über die Methoden und Risiken des Schwangerschaftsabbruchs. Außerdem ermögliche ich Interessierten ein persönliches Gespräch.
Abtreibung soll kein Stigma sein: Mehr Aufklärung ist dringend notwendig!
Dass ein Fall wie dieser im Jahr 2017 vor Gericht landet, zeigt, wie dringend wir eine Reform der betreffenden und längst überholten Gesetze benötigen - und wie weit wir uns zuweilen nicht nur politisch zurück bewegen. Kristina Hänel wirbt nicht für die Abtreibung, sie klärt gewissenhaft auf. Sie steht für Gesundheit, Frauenrechte und, das Recht auf Information und Entscheidungsfreiheit ein. In einer Petition auf Change.org kann man sie nun dabei unterstützen.
Denn überall auf der Welt wird abgetrieben - legal und illegal, aus unterschiedlichsten Gründen, die in schwerwiegenden Fällen auch Vergewaltigung heißen können. Nicht wenige Frauen erliegen bis heute ihren verzweifelten Versuchen, das eigene Leben zu schützen, indem sie ohne ärztliche Aufsicht abtreiben oder gar dazu gezwungen werden.
In den Länder Chile, El Salvador, Nicaragua, Malta, der Dominikanischen Republik und dem Vatikan ist einen Schwangerschaftsabbruch bis heute unter allen Umständen verboten. Polen erlaubt eine Abtreibung nur im Fall einer Vergewaltigung oder einer besonderen medizinischen Indikation. In Deutschland, könnte man meinen, hätten wir die restriktiven gesetzlichen Überbleibsel der Nazizeit längst beseitigt.
Ein Schwangerschaftsabbruch muss, genauso wie die Möglichkeit sich medizinisch sachlich und richtig darüber zu informieren, in der heutigen Zeit ein Frauenrecht sein - so grausam und schwer der eigene Entschluss am Ende sein kann. Raum für eine Infragestellung dieser Rechte darf in einer modernen Gesellschaft einfach nicht sein.
Update:
Kristina Hänel wurde vom Gießener Gericht tatsächlich verurteilt – zu 40 Tagessätzen von jeweils 150 Euro. Die Begründung des Gerichts: „Der Gesetzgeber möchte nicht, dass über den Schwangerschaftsabbruch in der Öffentlichkeit diskutiert wird, als sei es eine normale Sache", so die Richterin.
Ein Urteil, das uns die Sprache verschlagen hat! Wie kann es sein, dass eine Ärztin, die verantwortungsvoll über ihre Arbeit informiert und wichtige Aufklärungsarbeit leistet, verurteilt wird? Allein den Hinweis auf ihrer Website mit Werbung gleichzusetzen, könnte absurder kaum sein. Frau Hänel bietet schließlich kein Sonderangebot an, oder fordert zu einer Handlung auf, sie möchte lediglich Informationsarbeit leisten. Informationsarbeit für ohnehin komplexes und schwieriges Thema, bei der Frauen dringend Unterstützung und Beratung benötigen - und das bei weitem nicht „normal“ für Frauen ist.
Die Ärztin kündigte an, in Revision zu gehen – notfalls bis vor das Verfassungsgericht.