Frauen kommen schwerer zum Orgasmus? Blödsinn! Fakt ist aber, dass sie seltener zum Höhepunkt kommen als Männer. Warum es diese sexuelle Lücke zwischen den Geschlechtern gibt und was wir tun können, damit sich der Orgasm Gap schließt, verraten wir dir hier.
Das steckt hinter dem Orgasm Gap
Frauen kommen seltener beim Sex zum Höhepunkt als Männer. Das belegen gleich mehrere Studien. Dieses Phänomen wird als "Orgasm Gap" zu Deutsch "Orgasmus Lücke" bezeichnet. Vor allem heterosexuelle Paare sind von dem Orgasm Gap betroffen. So sollen ganze 95 Prozent der heterosexuellen Männer regelmäßig beim Sex zum Orgasmus kommen, bei heterosexuellen Frauen sind es hingegen nur 65 Prozent. Ganze 30 Prozent trennen Männer und Frauen, wenn es um das wohl schönste Gefühl der Welt geht. So wie beim Gehalt (Stichwort Gender Pay Gap) haben also auch beim Sex die Männer die Nase vorn.
Doch woran liegt es, dass wir Frauen häufiger beim Sex den Kürzeren ziehen und nicht so oft zum Höhepunkt kommen wie Männer? So viel sei schon mal verraten: Es ist nicht unbedingt unsere Schuld, dass es mit dem Orgasmus nicht klappt. Denn immerhin kommen homosexuelle Frauen beim Sex deutlich häufiger als heterosexuelle Frauen. Ganze 86 Prozent der lesbischen Frauen gaben in einer Studie an, beim Sex regelmäßig einen Orgasmus zu erleben. Das sind deutlich mehr als bei den heterosexuellen Frauen. Dass Frauen nur schwer zum Höhepunkt kommen, stimmt so also nicht. Fakt ist aber, dass sie beim Sex mit Männern seltener kommen. Die Gründe, die dahinter stecken, betrachten wir nun genauer.
Tipp: Höre dir auch unsere Podcastfolge "Über Orgasmus-Defizit und Gender Health Gap" an. Hier sprechen wir mit Patricia Stangner von Femacy über den Orgasm Gap, die Unterpräsentierung von Frauen in medizinischen Studien und Co.
Darum kommen Frauen beim Sex seltener zum Orgasmus als Männer
Du fragst dich, warum wir Frauen seltener zum Orgasmus kommen als Männer? Wir können es in einem Wort beantworten. Und das Wort lautet: Patriarchat. Denn: Das grundlegende Problem hinter dem Orgasmus Gap sind patriarchale Gesellschaftsstrukturen und die damit verknüpften stereotypischen Rollenbilder von Mann und Frau.
Im Verlauf der Geschichte war das Verständnis von Sexualität stets männlich geprägt. Im Fokus stehen Erektion und Ejakulation. Das Verständnis davon, wie Sex auszusehen hat (zum Beispiel Penetrationssex mit der Ejakulation als krönenden Abschluss) orientiert sich also an dem Male Gaze auf Sexualität. Dass wir Frauen aber oft etwas ganz anderes brauchen, um zum Höhepunkt zu kommen, geht daraus nicht hervor.
Dabei wollen wir jetzt aber nicht anfangen, den Männern die Schuld an allem zu geben. Schließlich ist auch der Mann von heute in den patriarchalen Gesellschaftsstrukturen gefangen, wie wir Frauen. Es mangelt an Diskurs und Aufklärung. Schauen wir uns die Gründe für den Orgasm Gap noch etwas näher an...
Fehlendes Verständnis der weiblichen Anatomie
Ein Grund, warum es vielen Frauen schwerfällt, beim Sex zum Orgasmus zu kommen, ist, dass sich viele Männer gar nicht mit der weiblichen Anatomie auskennen. Was ist der Unterschied zwischen Vulva und Vagina? Wo liegen die erogenen Zonen einer Frau? Gibt es wirklich diesen sagenumwobenen G-Punkt und wo befindet sich eigentlich die Klitoris? Dass viele Männer diese Fragen nicht eindeutig beantworten können, rührt unter anderem daher, dass die weibliche Lust lange nicht von Wichtigkeit war.
Doch nicht nur viele Männer weisen große Wissenslücken auf, auch viele Frauen kennen ihren eigenen Körper kaum. Sie wissen nicht, was ihnen Lust bereitet oder wie sich überhaupt ein Orgasmus anfühlt. Für sie ist es immer noch wichtiger, dass ihr Partner Spaß am Sex hat und dass sie ihn befriedigen. Der Orgasmus wird einfach vorgetäuscht and that is that. Dabei ist es unglaublich wichtig, dass wir Frauen unseren Körper und unsere Lust erkunden. Das tut nicht nur uns und unserer Gesundheit gut, sondern sorgt auch für ein glückliches Sexleben auf Augenhöhe, bei dem jeder auf seine und ihre Kosten kommt.
Unrealistisches Verständnis über die weibliche Lust
Sie mag es wild, schnell und hart, wird gerne an den Haaren gezogen und wenn sie kommt, schreit sie das ganze Haus zusammen. So oder so ähnlich vermitteln vor allem Pornos das Bild von weiblicher Lust. Ein Quickie ohne Vorspiel? Kein Problem im Porno. Dass Frauen aber erst einmal eine Weile erregt werden müssen, um feucht genug zu sein, dass der Penetrationssex nicht wehtut, wird im Film vergessen. 20 Minuten rein und raus, ohne dass die Klitorisperle auch nur einmal berührt wird? Auch das sehen wir immer wieder in Pornos. Dass viele Frauen aber hauptsächlich durch die äußere Stimulation der Klitoris zum Höhepunkt kommen können, wird nicht berücksichtigt.
Weibliche Lust wird in den Filmen auf Plattformen wie Pornhub oder YouPorn oft vollkommen verzerrt dargestellt. Und da Pornos oft der erste Zugang zu Sex sind, wird uns schon von Jugend an ein falsches Bild von weiblicher Lust vermittelt. So denken nicht nur viele Männer falsch über die weibliche Lust, auch uns Frauen wird indirekt vermittelt, was wir toll finden müssen, wie wir uns geben müssen und vor allem: Wie wir für ihn die perfekte Sexpartnerin sein sollen.
Scham verhindert offene Kommunikation
Eine Frau, die viel Sex hat, ist in vielen Augen eine Schlampe, ein Mann, der viel Sex hat, ist ein Player. Weibliche Sexualität ist gesellschaftlich immer noch nicht so anerkannt wie männliche Sexualität (zumindest solange sie heterosexuell ist). Viele Frauen verspüren so eine Scham über ihre Sexualität, dass sie sich nicht selber anfassen und ihrer Lust auf die Spur gehen. Masturbation ist bei Männern gesellschaftlich deutlich akzeptierter als bei Frauen. Die Folge: Frauen lernen nicht nur, was sich für sie gut anfühlt, sie können auch nur schwer mit ihrem Partner darüber sprechen.
Ist die Scham zu groß, sich selber anzufassen, kann man auch nicht herausfinden, was einem zum Höhepunkt bringen kann. Masturbation ist also unglaublich wichtig, wenn es darum geht, einen Orgasmus zu bekommen. Das A und O für den Sex mit Partner ist die klare Kommunikation. Was gefällt mir? Was fühlt sich gut an? Was brauche ich, um zum Orgasmus zu kommen? Und wann habe ich mal keine Lust auf Sex? Steht die Scham jedoch der Kommunikation im Wege, gibt es auch hier keinen Raum für eine Verbesserung des Sexlebens und die Orgasmen bleiben auf der Strecke.
Das braucht es für sexuelle Gleichberechtigung
Wir merken also: Ein Umdenken des Verständnisses von Sexualität ist unbedingt notwendig, um den Orgasm Gap zu schließen. Die Erregung und Befriedigung der Frau muss zunehmend priorisiert werden und es muss eine Entstigmatisierung der bisher gedachten weiblichen Sexualität auf gesellschaftlicher Ebene erfolgen. Doch was bedeutet das konkret?
- Wir brauchen eine bessere Aufklärung über die weibliche Lust
- Wir brauchen eine realistischere Darstellung von weiblicher Lust in Pornos
- Wir brauchen Männer, für die die sexuelle Befriedigung ihrer Partnerin an oberster Stelle steht
- Wir brauchen eine bessere Kommunikation über Sex zwischen den Sexualpartner:innen
- Wir brauchen Frauen, die sich mit ihrem Körper und ihrer Lust befassen und diese ausgiebig erkunden
- Wir brauchen ein Umdenken von Sex im Allgemeinen – weg von dem Gedanken, dass nur Penetrationssex "richtiger Sex“ ist und hin zu dem Gedanken, dass auch Techniken des sogenannten "Vorspiels“ voll und ganz erfüllend sein können

Verwendete Quellen: jetzt.de, spiegel.de