
Flexible Arbeitszeiten, Betreuung und Teilzeitarbeit
Jolie: In Deutschland verdienen Frauen immer noch 22 % weniger als Männer, drei Viertel aller Führungspositionen sind von Männern besetzt. Was können Politik und Unternehmen tun, damit sich dies ändert?
Ursula von der Leyen: Es ist eine Illusion zu glauben, die Politik könnte mit Verboten in einzelne Unternehmen hineinregieren. Das löst nur Widerstände und Umgehungsstrategien aus. Ich finde, der Staat muss sagen, wo er Verantwortung hat: Deshalb haben wir das Elterngeld eingeführt und vier Milliarden Euro zum Ausbau der Kinderbetreuung bereitgestellt. Und die Unternehmen müssen erkennen, wo ihre Aufgaben sind: flexible Arbeitszeiten, Betriebskitas, Teilzeit- und Teleangebote. Das macht es Frauen möglich, sich ihre Zeit im Beruf passend einzuteilen und zu zeigen, was sie können. Damit wachsen die Karrierechancen. Übrigens gilt das auch für Männer. Der neue Trend, ausgelöst durch das Elterngeld, ist: Junge Männer pochen aktiv auf Zeit mit den Kindern und wollen Vatersein mit dem Beruf vereinbaren. Erst wenn Kinder und Beruf Männer und Frauen gleichermaßen beschäftigen, sind ihre Chancen auch gleich.
Jolie: In anderen Ländern ist es selbstverständlich, sein Kind früh in die Krippe zu geben, um wieder zu arbeiten. In Deutschland gilt man schnell als Rabenmutter. Woran liegt das?

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Von der Leyen: "Habt Mut zu Kind und Karriere!"
Jolie: Was glauben (oder hoffen) Sie, wie sich die Situation für Frauen im Berufsleben in Deutschland entwickeln wird?
Ursula von der Leyen: Die Frauen sind ganz klar auf dem Weg nach oben – da hält sie keiner mehr auf! Die Frage ist, ob sie Kinder haben werden. Das hängt davon ab, ob wir es möglich machen, Zeit für Kinder und Zeit für den Beruf zu schaffen. Das geht alle an, weil mit Kindern alle gewinnen: unser Land, die Wirtschaft und ganz vorneweg Mütter und Väter.
Ich bin sicher, dass Familienfreundlichkeit immer mehr zum Markenzeichen der Wirtschaft werden wird, schon aus eigenem Interesse der Unternehmen heraus. Wenn die Arbeitgeber Fachkräfte gewinnen und halten wollen, müssen sie etwas anbieten wie flexiblere Arbeitszeiten oder betriebliche Kinderbetreuung. Was früher der Bonus in Form eines Dienstwagens war, ist dann die Zeit fürs Kind. Ich glaube, es ist bald normal, vor dem Meeting noch einmal in der Kita vorbeizuschauen oder mal von zu Hause aus mit dem Kind auf dem Schoß Präsentationen vorzubereiten.
Jolie: Würden Sie heutzutage einer jungen, gut ausgebildeten Frau raten, Kinder zu bekommen, auch wenn sie damit einen Jobknick riskiert?
Ursula von der Leyen: Ja! Ich kann nur raten: Habt Mut zum Kind und setzt trotzdem auf Karriere! Die Zeit arbeitet für euch, denn Menschen mit Kindern stehen immer höher im Kurs. Niemand zweifelt mehr an ihren Fähigkeiten, wie zum Beispiel Verantwortungsbereitschaft, Organisationstalent, Verhandlungsgeschick und effizientes Zeitmanagement. Der Arbeitsmarkt braucht familienerprobte Mitarbeiter – und auch die Gesellschaft profitiert von ihnen.
Die Geburtenrate steigt erstmals seit der Jahrtausendwende wieder an. Das könnte daran liegen, dass viele junge Frauen jetzt optimistischer denken und an eine familienfreundliche Zukunft glauben. Auch bei den Männern ist viel im Umbruch, denn zum ersten Mal seit vielen Jahren wächst der Kinderwunsch der jungen Männer in Deutschland.
Karrierefrau und Mutter: Tipps für Erfolg in Beruf und Familie
Jolie: Sieben Kinder und ein Ministeramt – für viele Frauen sind Sie ein Vorbild. Wie schaffen Sie das? Haben Sie auch manchmal ein schlechtes Gewissen gegenüber Ihren Kindern?
Ursula von der Leyen: Natürlich gibt es solche Momente. Neulich klingelte kurz vor der Kabinettssitzung das Handy, meine Tochter war dran. Sie hatte sich im Sportunterricht verletzt und musste im Krankenhaus behandelt werden. Da konnte ich ihr erst einmal nur Mut zusprechen, wäre aber natürlich am liebsten gleich zu ihr gefahren. Das sind so Momente, wo es wehtut. Ich versuche aber andererseits, mir auch im Alltag so viel Zeit wie möglich für meine Familie zu nehmen. Die Kinder wissen, dass unsere gemeinsame Zeit etwas Besonderes ist, sie gehen dann eben nicht mit Freunden weg.
Das Wichtigste ist, dass sich mein Mann in der Familie genauso engagiert wie ich. Er ist im besagten Fall aus dem Büro raus und mit dem Kind in die Klinik gefahren. Meine Kinder finden übrigens, dass es manchmal ganz guttut, ihre Konflikte nicht nur mit der Mutter auszufechten, sondern auch mit dem Vater.