Während sie vor ein paar Jahren noch ein absolutes Tabuthema war, ist Psychotherapie heute – glücklicherweise – etwas salonfähiger. Prominente Personen, wie Demi Lovato oder Matthias Schweighöfer, die öffentlich über ihre Therapie sprechen sowie die grundsätzliche Aufklärung und Mental Health Bewegung haben dafür gesorgt, dass eine Therapie von vielen nicht mehr so skeptisch beäugt wird.
Und trotzdem: Komplett gesellschaftsfähig ist ein offener Umgang mit einer psychischen Erkrankung noch nicht. Auch ich stand einer Therapie lange skeptisch gegenüber und dachte, dass das ja nur Leute machen, denen es wirklich ganz schlecht geht und dass man das ganze Thema lieber nur hinter vorgehaltener Hand oder im Privaten bespricht. Doch mit jeder Geschichte, jeder Aufklärung und auch jedem Artikel wird das Stigma um Therapie etwas gebrochen. Und so kommt es nun, dass ich hier für Dich über meine Erfahrungen mit Therapie schreibe. Ich habe fast drei Jahre lange eine Therapie gemacht und verrate dir hier, wie sich das für mich angefühlt hat – und was danach kommt.
Achtung: Alles in diesem Text sind persönliche Eindrücke und nicht allgemeingültig für jede Therapie-Erfahrung!
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Wie bin ich zur Therapie gekommen?
Ich habe meine Therapie im Juli 2020 begonnen. Das war auf keinen Fall eine spontane Entscheidung, sondern ich hatte viel mehr schon seit einem Jahr mit dem Gedanken gespielt, eine Therapie zu beginnen. Das liegt daran, dass ich keine akuten Ängste oder Probleme habe, sondern viel mehr schon länger gemerkt hatte, dass ich einige Erfahrungen und Erlebnisse nicht zu 100 Prozent verarbeitet habe und da auch alleine nicht weiter komme. Ich würde mich selbst als reflektiert bezeichnen, doch mit manchen Themen kam ich einfach an meine Grenzen und auch Gespräche mit Freunden und Familie konnten diese Knoten nicht lösen.
Für mich war der Zeitpunkt im Sommer 2020 auch passend, da ich gerade meine journalistische Ausbildung abgeschlossen und einen neuen Job begonnen hatte. "Alle Schäfchen im Trockenen", dachte ich mir und sah es so als einen guten Zeitpunkt, mich nun mal um die Baustellen im Kopf zu kümmern. Diese Einstellung war vielleicht etwas naiv von mir, denn wenn man vorhat, seine kompletten Glaubenssätze und Werte einmal ordentlich zu sortieren und zu verstehen, wie man tickt – dann wird das auch Auswirkungen auf das restliche Leben haben. Aber dazu später mehr.
Als ich mich nun für die Therapie entschieden hatte, hatte ich das Glück, dass ich relativ schnell über die Terminservicestelle eine wunderbare Therapeutin gefunden habe, bei der ich mich sofort sehr wohlgefühlt habe und es auch immer noch tue. Das geht leider nicht bei jedem so schnell und oft ist die Therapeutensuche mit langen Wartezeiten und Frustrationen verbunden. Tipps und Informationen dazu findest du in diesem Artikel: Was ist Psychotherapie? Infos, Fakten und Hilfe bei der Therapeut*innensuche.
Wie laufen die Therapiestunden ab?
Ich hatte wahrscheinlich die gleiche Vorstellung von einer Therapiestunde wie du: Man liegt auf einem Sofa, erzählt weinend, wo einem der Schuh drückt und der/die Therapeut*in macht sich Notizen und nickt wissend. Ich kann entwarnen: Das stimmt nur teilweise 😉 Meine Therapiestunden liefen im Sitzen ab, meine Therapeutin und ich saßen uns gegenüber, manchmal notierte sie sich etwas. Die Stunde begann meistens damit, dass sie mich auffordernd ansah und ich dann erzählte, was mir so einfiel. Das kann alles sein: Eine Realisation, die ich hatte, ein Austausch mit jemandem, ein Erlebnis oder einfach nur, was ich am Wochenende gemacht habe.
Geweint wurde in den Therapiestunden auch (nur von meiner Seite, meine Therapeutin ist Profi), aber auch gelacht. Und einfach nur geredet. Eine Therapiestunde ist ein menschlicher Austausch – mal bekam ich Fragen gestellt, manchmal stellte ich sie. Mal erzählte ich wie ein Wasserfall, manchmal schwiegen wir für ein paar Minuten. Mal waren wir schon vor den 50 Minuten durch mit der Sitzung, manchmal hätte ich noch 20 Minuten überziehen können.
Eine Sache hatten allerdings fast alle Stunden gemeinsam: Ich beendte sie immer mit einem neuen Ansatz, über den ich nachdenken musste. Das kann eine neue Erkenntnis sein, ein neuer Blickwinkel auf die Vergangenheit oder ein neuer Vorsatz für die Zukunft.
Wie hat mein Umfeld reagiert?
Wie anfangs bereits erwähnt, hätte ich zu Beginn meiner Therapie auch nicht gedacht, dass ich mal so offen mit ihr umgehen werde. Das kommt einerseits daher, dass man in Deutschland über "so etwas lieber nicht spricht" und daran, dass man mir nicht "anmerkte", dass ich eine Therapie brauchte. Ich habe keine Depression, ich habe einen tollen Freundeskreis, ich bekomme meinen Alltag auf die Reihe. Das war auch ein Grund, warum ich mir überlegt hatte, ob meine Problemchen vielleicht doch gar nicht so schlimm sind. Gibt ja schließlich Leute, die sind schlimmer dran! Aber: Darum geht es ja bei der Therapie nicht. Wenn ich mir den Arm brechen würde, würde ich ja auch nicht sagen: Oh, der da hat sich aber das Bein gebrochen, also so schlimm kann es bei mir ja nicht sein. Man ist es sich selbst schuldig, dass man seine Probleme – körperlich wie mental – ernst nimmt und daran arbeitet. Eine Therapie machen heißt nicht, dass man schwach ist oder sein Leben nicht auf die Reihe bekommt – im Gegenteil, es ist eine Stärke!
Und je mehr ich mir dessen bewusst geworden bin, umso weniger Angst hatte ich davor, meine Therapie mit meinem Umfeld zu kommunizieren. Ich kümmere mich um mich selbst – darauf bin ich stolz und muss mich nicht dafür schämen. Außerdem hatte ich eigentlich keine negative Reaktion auf meine Neuigkeit – vor allem bei den Menschen in meinem Alter gab es für das Thema Therapie großen Anklang! Fast jeder meiner Freunde, mit denen ich darüber gesprochen habe, war schon mal in Therapie, macht gerade selbst eine oder hat noch vor, eine zu machen. Man kann es Generationskrankheit nennen – ich sehe es eher als Generationsbewegung, die vorhat, aus alten Mustern auszubrechen.
Die einzigen zurückhaltenderen Reaktionen bekam ich von Menschen aus älteren Generationen – aber auch hier war es nie Spott oder Ärger, eher Sorge und auch Verwirrung. Aber durch ein offenes Gespräch konnte ich meinen Gesprächspartnern auch die meistens nehmen.
Was sind Vor- und Nachteile einer Therapie?
Ich bin der Meinung, dass man Therapie nicht so schwarz und weiß eingliedern kann, aber Folgendes fällt mir ein:
Nachteile
- Es wird wehtun. Wenn man verstehen will, warum man so ist, wie man ist, muss man tief gehen. Und das ist manchmal echt hart, tut weh, macht einen traurig und bringt einen zum Weinen.
- Alte Gewohnheiten werden nicht mehr so passen, wie vorher. Das kann ein Beruf, ein Wohnort, ein Hobby oder auch eine Beziehung mit einem anderen Menschen sein: Wenn du dich veränderst, kann es sein, dass dein altes Leben nicht mehr zu dir passt.
- Neverending Story: Therapie ist nicht mit 5 Sitzungen erledigt, wie ein Besuch beim Krankengymnasten. Um wirklich etwas zu verändern, muss man dran bleiben und sich immer wieder mit unangenehmen Wahrheiten konfrontieren. Außerdem wirst du merken, dass deine Verhaltensmuster sich nie auf nur einen Lebensbereich beziehen – was in deiner Beziehung schwierig läuft, kann zum Beispiel auch Auswirkungen auf deinen Job haben.
Vorteile
- Verständnis: Durch eine Therapie lernt man zu verstehen, warum man wie auf Dinge reagiert, was die persönlichen Trigger sind und wie man sich selber im Weg steht – in allen Lebensbereichen. Und Einsicht ist bekanntlich der erste Weg zur Besserung!
- Neue Denkweisen, neue Strategien, neue Möglichkeiten, neue Gefühle: In einer Therapie lernt man, Dinge neu zu betrachten und das ist etwas sehr Spannendes und Schönes.
- Der wichtigste und beste aller Vorteile: Du lernst dich kennen. Du lernst, besser mit dir umzugehen. Und in Anbetracht der Tatsache, dass du mit dir noch bis an dein Lebensende zusammen sein wirst, ist das das Beste, was dir passieren kann.
Was kommt nach der Therapie?
Ich habe meine Therapie im April 2023 beendet. Damit war ich fast drei Jahre lang in therapeutischer Betreuung und habe mich regelmäßig mit meiner Therapeutin ausgetauscht. Dass ich bereit bin, die Therapie zu beenden, hat mir nicht nur meine Therapeutin gesagt, sondern ich habe es auch daran gemerkt, dass ich keine Angst davor hatte. Zuvor wurde ich immer ganz nervös bei dem Gedanken, "auf mich alleine gestellt" zu sein.
Jetzt bin ich schon ein paar Monate "therapiefrei" – aber "geheilt" bin ich nicht. Die Ängste und Probleme, die sich teilweise schon seit den Kindheitstagen festgesetzt haben, sind nicht von heute auf morgen weggezaubert. Ich würde eher sagen, dass man durch die Therapie einen Werkzeugkasten bekommt, der die richtigen Tools und Lösungen für die eigenen Probleme beinhaltet. Den hatte man auch schon vor der Therapie, wusste aber vielleicht noch nicht, wie man ihn anwendet. Durch die Therapie lernt man, wie man mit den eigenen Emotionen umgeht – und kann dieses Wissen dann danach auch ohne therapeutische Begleitung anwenden.
Die Therapie hat bei mir für viele Veränderungen gesorgt und tut es immer noch. Ich habe nicht nur meinen Beruf, meinen Wohnort und auch einige zwischenmenschliche Beziehungen geändert, sondern ich bin auch stärker und mehr ich selbst geworden. Ich gehe liebevoller und besser mit mir um und habe mehr Verständnis für mich selbst. Me, myself and I – wir sind jetzt ein besseres Team, als vor der Therapie.
Dieser Text soll nicht heißen, dass du jetzt auch sofort eine Therapie machen sollst. Vielleicht hast du kein Bedürfnis danach oder fühlst dich noch nicht bereit dazu – beides ist völlig in Ordnung! Vielmehr wollte ich hier zeigen, dass Therapie 1. etwas Gutes und 2. etwas Normales ist. Also ob mit oder ohne Therapie: Sei gut zu dir selbst – du hast es verdient. 💙