Cristiano Ronaldo und der Flitzer

Cristiano Ronaldo und der Flitzer

Unser Kolumnist fand Cristiano Ronaldo immer affig und unsympathisch. Doch seit dem Spiel Portugal gegen Österreich fragt er sich: "Tun wir dem eitlen Pfau Unrecht? Sind in Ronaldos Körper doch nicht seine Oberschenkel oder sein Sixpack die größten Muskeln - sondern sein Herz?"

Cristiano Ronaldo© Getty Images

Wie gerne würde ich jetzt eine Liebeserklärung an Jerome Boateng schreiben. Oder an Thomas Müllers krumme Haxen. Aber was sagte die Jolie.de-Redaktion am Telefon? »Schreib doch zur EM bitte was über Cristiano Ronaldo, du warst doch lange Sportjournalist.«

Ok, kein Problem: Cristiano Ronaldo ist ein selbstverliebter, überschätzter Angeber. Fertig. Hier das dazu passende Foto:

»Moment!«, sagte die Jolie.de-Redakteurin, »Ronaldo wurde schon drei Mal zum besten Spieler der Welt gewählt, hat vor ein paar Wochen die Champions League gewonnen, auch zum dritten Mal, er hat 112 Millionen Facebook-Follower und ist laut aktueller Forbes-Liste der bestverdienende Sportler der Welt mit 73 Millionen Euro im Jahr, übrigens als erster Fußballer überhaupt. Wenn du den nicht magst, musst du das gefälligst gut begründen.«

Mist, die kennen sich aus. »Na gut. Naaaa gut! Kann sein, dass Ronaldo gar nicht sooo schlecht ist.« Ich mag ihn nur einfach nicht. Niemand, den ich kenne, mag Ronaldo wirklich. Seltsam, seine Lebensgeschichte macht ihn mir eigentlich sympathisch: Cristiano Ronaldo wurde als Kind gehänselt und sein Vater war Alkoholiker, so sagte Ronaldo einst in einem Interview, der sich nicht um seinen Sohn gekümmert hat. Ein armer Kerl von einer einsam, weit draußen im Atlantik vergessenen Insel (Madeira), der mit 12 Jahren nach Lissabon ging, um dann über Manchester und Madrid zum Superstar zu werden. Ich habe kürzlich seine Ex-Freundin Irina Shayk getroffen für Jolie.de (hier nachzulesen), die war nett. Warum mag ich ihn dann nicht?

Sind wir, die vielen Millionen Ronaldo-Hater, vielleicht nur neidisch auf seinen Erfolg, seine Tore, seine Bauchmuskeln? 

Zeit es herauszufinden. In 90 Minuten. Ronaldo spielt Samstagabend gegen Österreich. Das zweite EM-Spiel der Portugiesen. Nach dem ersten Vorrundenspiel, dem tapfer erkämpften 1:1 der kleinen Isländer, hatte der große Ronaldo nach dem Spiel über den mauernden Gegner gelästert. Größe zeigt sich ja bekanntlich in Niederlagen, nicht in Jubelfeiern. Er mag vielleicht der beste Stürmer der Welt sein, aber der größte ist er sicher nicht. 

EM-Spiel Portugal gegen Österreich 

Ronaldo ist zum ersten Mal im Bild: Er schüttelt jedem der aufgeregten Einlaufkinder die Hand. Die anderen Spieler stehen oft nur stumm neben den Kindern, Ronaldo begrüßt jedes einzeln. 

16. Minute: Ronaldo steht im Abseits.

18. Minute: Ronaldo köpft weit neben das Tor. 

22. Minute: Ronaldo schießt knapp neben das Tor. 

35. Minute: Ronaldo mal wieder im Abseits.

55. & 56. Minute: Guter Schuss und folgender Kopfball von Ronaldo, aber der österreichische Torwart Robert Almer hält. 

68. Minute: Ronaldo versucht einen Fallrückzieher, klappt aber nicht. 

79. Minute: Ronaldo verschießt einen Elfmeter! Und erntet dafür viel Spott auf Twitter. 

85. Minute: Tor durch Ronaldo! Abseits... 

Das war's. 

Ronaldo und der Flitzer

cr 7 streaker© Getty Images
Cristiano Ronaldo und der sehr nervöse Flitzer nach dem Spiel Portugal gegen Österreich

Nein, Moment, ein Zuschauer läuft nach dem Abpfiff auf das Feld und zu Ronaldo. Die Ordner können ihn nicht rechtzeitig aufhalten. Dann passiert das hier: 

Wie nett, oder? Ronaldo könnte den Mann ignorieren, ihn abführen lassen. Stattdessen hält er selber die Ordner zurück und wartet, bis der junge Fan es vor lauter Aufregung endlich geschafft hat, die Kamera an seinem Handy zu aktivieren. (Nachtrag: Am Sonntag wurde gemeldet, dass die Portugiesen aufgrund dieser Ronaldo-Aktion wohl eine kleine Strafe zahlen müssen) Ach, verdammt, jetzt muss man ihn doch mögen.

Ronaldo mit dem guten Herz

Und dann lese ich bei einer kleinen Ronaldo-Textrecherche noch, dass er nach seinem Champions-League-Sieg im Mai als einziger Spieler zu einer Gruppe von Rollstuhlfahrern am Spielfeldrand gegangen ist und ausgiebig Autogramme geschrieben hat. Seine Siegprämie soll er zudem gespendet haben.

Selbst Ronaldos bislang glücklosen (Elfmeter gegen Österreich) bis peinlichen (Motzen gegen Island) Auftritte bei der Europameisterschaft kann man eine sympathische Seite abgewinnen: Er kann mit den Portugiesen ja nur verlieren. Die Mannschaft ist gut, aber eben lange nicht so gut wie er. Das kleine Portugal wird nicht Europameister werden und egal, wie schnell und weit Ronaldo läuft, er wird verlieren und früher oder später ausscheiden aus dem Turnier. Begleitet vom Beifall und Spott auf Twitter, Facebook, Snapchat, in den Zeitungen und Sportsendungen.

Dabei könnte Ronaldo stattdessen mit seinem Sohn durch die Karibik kreuzen.

Er könnte sich von der mittelmäßigen Nationalmannschaft verabschieden und mit der Superelf von Real Madrid weiter Pokale sammeln. Macht er aber nicht. Er hält seine Knochen für Portugal hin, das Land, in dem die Leute gerne Witze über die Menschen aus Madeira machen, weil sie deren Akzent peinlich finden. 

Ja, Ronaldo ist affig, wenn er Siege feiert mit peinlichen Gesten oder seltsamen Jubelschreien. Aber: er erträgt auch Niederlagen. Beim Training, liest man, kommt er als Erster und geht als Letzter. 

Nach dem 0:0 gegen Österreich, schreibe ich eine Facebook-Nachricht an einen Freund in Portugal. Rudolfo, so sein Name, glaubt vor jeder EM oder WM, dass Portugal gewinnt. Er vergöttert Ronaldo. Ich schreibe ihm: "Super Elfmeter." Er schreibt zurück: "Ihr habt Götze und Gomez im Sturm, wir haben Ronaldo." 

Mist. 

Und hier kommt ein Spiel, welches sich die Damen in der Redaktion ausgedacht haben:

Lade weitere Inhalte ...