Streiten kann man lernen – laut Beziehungsexpertin

In jeder Beziehung gibt es Stress, klar. Aber wenn ihr konstruktiv streitet, ist das sogar ein Liebes-Booster.

Text: Maren Pletziger

Paar greift Hände© Pexels | cottonbro studio
Sich wieder die Hand reichen ... eine wichtige Geste nach dem Streit.

Unordnung, Unpünktlichkeit, zu viel Zeit am Smartphone: Darüber streiten deutsche Paare am meisten. Klingt banal – aber wir alle wissen leider: Es kann trotzdem eskalieren! Warum hängen wir uns oft an Kleinigkeiten auf? 

Nele Sehrt ist Diplom-Psychologin, Paar-, Sexual- und Traumatherapeutin und hat in Hamburg ihre eigene Praxis. Sie erklärt, dass insgeheim Verbindungswünsche wie Achtsamkeit und Respekt mitspielen. "Oft geht es bei den vermeintlich kleinen Themen wie das Wegräumen des benutzten Geschirrs oder das Zuschrauben der Zahnpastatube nicht um deren Erfüllung an sich, sondern die Forderungen stehen stellvertretend für den Wunsch nach erlebbarem Engagement und Commitment. Denn in einer Beziehung brauchen wir das Gefühl von Bedeutsamkeit im Miteinander: Ich bin hier, und unser Zusammenleben ist mir wichtig."

Aber was sind die Geheimnisse einer guten Beziehung? Und wenn’s schon bei Kleinigkeiten knirscht – wie sollen wir dann die großen Knackpunkte ansprechen, ausdiskutieren und lösen? Das verrät die Expertin im JOLIE-Gespräch.

Was rausmuss, muss raus!

42 Prozent aller deutschen Paare streiten sich ein- bis zweimal im Monat, elf Prozent mehrmals die Woche und fünf Prozent sogar mehrmals täglich. Es ist leider so: "Nicht alle von uns hatten als Kinder gute Vorbilder und konnten eine konstruktive Streitkultur lernen", so die Expertin. 

Stattdessen haben wir gehört: "Der Klügere gibt nach" oder "Stell dich doch nicht so an". Irgendwann verinnerlichen wir: Wer streitet, ist unangenehm. Dabei kommt nur weiter, wer für sich und seine Sachen einstehen kann, auch und gerade in einer Partnerschaft. Aber bitte fair bleiben! Schimpfwörter, Sarkasmus und Ironie bringen nichts.

Die 5-zu-1-Formel

Wusstet ihr, dass es fünf positive Impulse braucht, um einen negativen auszugleichen? Das ist viel! "Die meisten Paare reden maximal zehn Minuten emotionsbasiert miteinander", weiß Nele Sehrt. Sie rät: "Zeigt euch verletzlich! Offenbart euch: Was ist schön miteinander, was treibt euch um?" So gewinnt die Negativität nicht Oberhand.

Die Streit-Regeln

Es gibt ein paar Voraussetzungen, die ihr einhalten solltet. Sich ausreden zu lassen, gehört ebenso dazu, wie die Sache nicht zu pauschalisieren. Tragt den Konflikt nicht vor Dritten, in der Öffentlichkeit und unter Zeitdruck aus.

Um Verzeihung bitten – wie geht das?

Sehrt erklärt: "Man sollte sich für den eigenen Anteil am Streit entschuldigen und die Verantwortung der Konsequenzen übernehmen. Dazu gehört, das eigene Verhalten zu reflektieren und konkret zu sagen, was man selbst beim nächsten Mal besser machen möchte." Wichtig: Sag nicht nur deswegen Sorry, weil du vom Gegenüber eine Entschuldigung hören willst. "Das funktioniert so nicht!"

Jetzt ist aber Schluss!

"Ein Konflikt hat keinen Sieger und keinen Gewinner – sondern nur ein gemeinsames Ziel: den Kompromiss als gemeinsamen Weg", so Sehrt. Versuche, herauszufinden, warum und wie du im Streit reagiert hast und welche Gefühle du ausgelöst hast. Nehmt den Druck raus: Es ist gar nicht notwendig, sofort zu einem Ergebnis zu kommen. 

Die Lösung kann auch sein, etwas auszuprobieren und zu checken, ob das so für euch beide funktioniert. So bleibt ihr im regelmäßigen Gespräch über die Kontroverse – und werdet Step by Step richtig gute Konfliktlöser!

Paartherapeutin im Interview: "Da hilft nur: ausblenden!"

Wie geht man Streit aus dem Weg – und sollte man das überhaupt?

"Ich unterscheide zwischen Konflikt und Streit. Konflikte haben wir immer, in jeder Beziehung, das ist völlig normal. Streit ist dagegen eine Art und Weise, mit dem Konflikt umzugehen. Wer streitet – also kämpft oder in die Vermeidung geht –, findet keine adäquate Möglichkeit, eine gemeinsame Lösung zu finden. Streit tut auf Dauer nicht gut. Er kann sehr verletzend sein, entfremdend wirken und am Selbstwert kratzen."

Gibt es Regeln, nach denen ein Konflikt ausgetragen werden sollte?

"Das Wichtigste ist die Gefühlsregulation – und hier ist jeder für sich selbst verantwortlich. Wenn ich aufge­bracht bin, ist mein Gehirn nämlich nicht fähig, logisch zu denken. Um sich runterzupegeln, kann man den Raum verlassen, Hanteln stemmen ... oder abwarten. Denn Emotionen regulieren sich nach 20 Minuten von allein. Wörter wie 'immer' oder 'nie' sind beliebte Kommunikations­-Killer. Die Basis eines jeden Konflikt­gespräches ist das respektvolle Miteinander, ohne Handgreiflichkeiten oder Beleidigungen."

Sollte man immer alles ausdiskutieren oder kann man es auch einfach mal gut sein lassen?

"Unbedingt. Manchmal lösen sich Dinge von allein, und in gewissen Situationen, wie auf einer Familienfeier, würde ich auch davon abraten. Kein Konflikt kann an einem Nachmittag gelöst werden, wenn er schon jahrelang da ist. Da hilft nur: problematische Verhaltensweisen oder Themen für eine bestimmte Zeit auszublenden."

Text ursprünglich im Jolie-Heft 01/24 erschienen.