
In Zeiten, in denen To-Do-Listen ständig wachsen und wir immer präsent und allzeit bereit sein müssen ist es fast schon rebellisch, mal nein zu sagen und Offline zu sein. Dass das natürlich trotzdem geht und zwar ganz gut, hat uns "Glücksministerin" Gina Schöler erklärt und gleich ein paar Tipps mitgeliefert, wie wir uns in Zukunft im Alltag regelmäßig Inseln zur Entspannung schaffen können.
Wie wichtig sind regelmäßige Auszeiten für unser Wohlbefinden?
Enorm wichtig und wir sollten uns alle gegenseitig unterstützen, genau das wieder als Norm in den Alltag zu integrieren und nicht zusätzlich noch Erwartungsdruck – ich nenne es auch gerne mit einem Augenzwinkern den „Horror der blauen Häkchen“ – aufzubauen, in dem wir immer schneller immer mehr Reaktionen auf sämtlichen Kanälen wünschen.
Gerade durch die vielen Rollen, die wir heute inne haben und der unzähligen Möglichkeiten, die uns offen stehen, kann es sehr schnell gehen, dass wir uns überfordern und stressen. Deshalb ist es umso wichtiger, sich öfter mal kleine Inseln zu schaffen, Mini-Momente, die uns gut tun und die Seele nähren. Wie sonst sollen wir unsere Batterie füllen und Energie tanken. Das können schon Kleinigkeiten sein: Ich bin z.B. ein großer Fan der kleinen Auszeiten. Ein bewusster Atemzug, eine Tasse Tee im Flugmodus oder ein herzhafter Plausch mit dem Nachbarn.
Oder wie wäre es mit einer Runde schaukeln, einem heißen Bad oder einem Tag spontanem Blaumachen, um sich selbst Zeit zu schenken? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.
Sollte man die Me-Time als Ritual einführen?
Unbedingt, wenngleich es auch Überwindung kosten kann. Einen Tag nur mit sich und seinen Gedanken zu verbringen kann erholsam sein. Mal alleine in den Urlaub zu gehen, ist dagegen schon eine echte Herausforderung. Bei so einer „Inventur des Ichs“, wie ich es gern nenne, kommt so einiges hoch. Aber das ist wichtig, reinigend und hilfreich. Dieses innerliche Aufräumen und Abchecken, wie es mir geht, was mich umtreibt, wo ich mir selbst auch Steine in den Weg lege um voranzukommen. Das kann auf den ersten Blick unangenehm sein, bringt einen aber auf Dauer weiter und man merkt schnell, dass man diese Me-Time nicht mehr missen möchte.
Wie finde ich heraus, was mir wirklich gut tut?
Oft haben wir die Vorstellung, dass das große Glück, das perfekte Leben irgendwann mal vor unserer Tür steht und freundlich anklopft: Hallo, da bin ich!
Wenn wir ehrlich sind, wissen wir aber genau, dass der Weg dahin durchaus auch mal Umwege nehmen kann, steinig und steil ist, manchmal ist es eine Sackgasse, die Weggefährten ändern sich, wir knicken um. Jedenfalls ist der Weg definitiv fernab der eigenen gemütlichen Komfortzone.
Wenn man aber wirklich rausfinden möchte, was einen glücklich macht und was wirklich gut tut, dann kommt man nicht drum herum, den Fuß über diese Schwelle zu setzen und sich auf die Reise zu machen. Raus ins Abenteuer. Dinge ausprobieren, Neues wagen, ein wenig verrückt sein, Routinen durchbrechen, Mut erweisen, über den eigenen Schatten springen. Alles kann, nichts muss. Aber nur wer Erfahrungen sammelt, mal inne hält, Menschen (und sich selbst!) kennenlernt, das Leben mit allen Sinnen wahrnimmt und genießt, kann auch lernen und filtern, was zu einem persönlich passt und was eben weniger. So bekommt man eine Idee davon, in welche Himmelsrichtung es gehen kann – die Route kann sich immer mal wieder ändern, aber zum Glück führen viele Wege nach Rom.
Wie funktioniert eine ausgewogene Work-Life-Balance?
Ich bin der Meinung, dass es DIE Work-Life-Balance gar nicht richtig gibt bzw. geben müsste. Denn wir haben nur ein Leben und Arbeitszeit ist ebenso auch Lebenszeit. Sollten wir uns nicht lieber die Sinnfrage stellen: Wer bin ich? Was macht mich aus? Was kann und möchte ich wirklich? Und unser Leben und Handeln und somit auch unsere Arbeit dahingehend gestalten? Bestenfalls hat man (oder erfindet sich) einen Job, der einen fordert und fördert und vor allem erfüllt. So entsteht intrinsische Motivation, die zum bekannten Flow-Erleben führt, was pure Glücksgefühle auslöst. Und schon verschwimmen Work und Life und werden zu einer Einheit. Natürlich kann auch das mal tückisch werden, denn wenn man für etwas brennt, läuft man auch Gefahr, sich zu verbrennen. Also heißt es, achtsam sein gegenüber den eigenen Bedürfnissen und Ressourcen und klar Grenzen ziehen und dann auch zu kommunizieren. So entstehen zum einen weniger Missverständnisse und zum anderen öffnen sich unter Umständen Türen und Chancen der Selbstentfaltung ergeben sich, die man sich vorher nicht zu erträumen wagte!
Apropos: Sind Begriffe wie Work-Life-Balance, Hygge, Lagom nur Pseudo-Lifestyle-Trends, oder können die echt was?
Ich finde solche „Trends“ wie Hygge und Lagom sehr interessant. Sie gibt es ja schon länger und werden in den jeweiligen Ländern ganz selbstverständlich in deren Kultur praktiziert. Dass wir davon nun Wind bekommen und uns davon inspirieren möchten, zeigt ja nur die Neugierde und das Bedürfnis nach solchen Themen wie Balance und Entschleunigung.
Jeder hat sein ganz eigenes Glücksrezept und aus welchen Zutaten das besteht, kann jeder nur selbst entscheiden. Eine Prise Lagom, eine Packung Hygge, wie wäre es mit ein paar Gramm Kalsarikännit? (Kalsarikännit ist das finnische Wort dafür, dass man sich zuhause alleine in Unterwäsche betrinkt) Herrlich!
Wenn wir all das mit einem kleinen Augenzwinkern betrachten und dennoch offen sind und uns inspirieren lassen, kann das unserem deutschen Glück nur zuträglich sein.
Höher, schneller, weiter: Warum ist man nie mit dem zufrieden was man hat?
Ein wenig liegt das in der Natur des Menschen. Zufriedenheit ist ja eine Form von Stillstand in der Evolution. Die chronische Neugierde und das Bedürfnis nach Wachsen und Fortschritt hat uns weit gebracht in der Geschichte. Wir sind Meister darin, das Glück in die Zukunft zu setzen und handeln oft nach dem „Wenn-Dann-Prinzip“: Wenn ich dies oder das oder jenes erreicht habe, DANN… bin ich zufrieden oder glücklich, dann kann ich mich zurück lehnen und genießen, dann habe ich es geschafft.
Fakt ist: So funktioniert das nicht! Denn dann kommt das nächste und das nächste und ganz schnell bekommt man den bekannten Drehwurm im Hamsterrad und vergisst das Wichtigste: Das hier und jetzt. Das ist letztlich alles, was wir haben – alles was zählt! Also öfter mal innehalten und wahrnehmen und vor allem wertschätzen was bereits alles schon (gut) IST! Das zelebrieren und dankbar zu sein, stolz sein auf sich und seine Mitmenschen und das auch äußern und anerkennen!
Falsch verstandene Me Time: Welchen Unterschied macht es, ob ich stundenlang Instagram durchforste oder ein Buch lese?
Das bewusste und unbewusste Vergleichen mit anderen kann uns durchaus unglücklich machen.Häufig ist das Bild was wir auf den SoMe Kanälen finden verzerrt. Umso schöner finde ich die Gegenbewegungen, die daraus entstehen mit Themen z.B. aus der Nachhaltigkeit oder Body Positivity. Letztlich gilt auch hier: Selbstverantwortung! Wir haben es selbst in der Hand, wem wir folgen, welchen Themen wir Raum geben, wie wir unseren Feed gestalten. So oder so, kann es natürlich immer passieren, dass wir uns im Insta-Nirvana verlieren. Damit das nicht passiert, lieber mal ein Buch lesen oder noch besser: Jemandem vorlesen! Das macht andere und einen selbst glücklich, weil man hier in fremde Welten abtaucht, die Fantasie angekurbelt wird und daraus wieder tolle Ideen entstehen können.
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