
Man sagt, dass der Tod endgültig ist. Aber das stimmt nicht, denn für die Hinterbliebenen hört der Schmerz niemals auf. Es ist der 17. April 2019, 5:55 Uhr, als mein Handy klingelt. Es ist mein Bruder: "Ann-Christin, kannst du bitte nach Hause kommen? Ganz schnell? Mama ist weg!" Mama ist weg. Drei Worte, die gar keinen Sinn ergeben und die ich dennoch sofort verstehe. Mama ist nicht mehr da. Sie ist tot. Nur wenige Stunden zuvor haben wir noch telefoniert und es ging ihr gut. Wie kann es ihr jetzt nicht mehr gut gehen?
Mittlerweile jährt sich ihr Todestag zum fünften Mal. Kaum zu glauben, kommt es mir doch immer noch so vor, als würde sie jeden Moment anrufen und fragen, wie mein Tag war. Und jedes Mal trifft es mich wie ein Schlag, wenn mir bewusst wird, dass dieser Anruf nie wieder kommen wird.
An Feiertagen ist die Trauer besonders intensiv
Ich war 31 Jahre alt, als meine Mutter gestorben ist. Längst erwachsen und doch noch lange nicht erwachsen genug, um sie nicht jede Minute zu vermissen. An Weihnachten, ihrem Geburtstag, meinem Geburtstag oder Muttertag ist dieses Gefühl besonders intensiv. Doch man lernt damit zu leben. Lernt zu akzeptieren, dass jede Minute Vermissung der Beweis dafür ist, wie viel Liebe sie mir gegeben hat. Eine Liebe, die ich immer in Ehren halten werde.
Ich habe deswegen mit der Zeit gelernt, gut durch diese Tage zu kommen. Eins aber vorweg: Es ist wichtig zu trauern. Auch fünf Jahre später liege ich noch oft weinend im Bett, weil ich es kaum aushalte. Vor allem dann, wenn der Instagram-Feed voll mit zuckersüßen Muttertags-Posts ist oder ein Newsletter nach dem nächsten die schönsten Muttertagsgeschenke anpreist. Ich kann meiner Mutter nichts mehr schenken und das tut weh. Und doch wird es leichter.
Der Kontakt ist nicht weg – er ist nur anders
Denn meine Mutter ist immer bei mir. Der Kontakt ist nicht weg. Er ist nur anders. Ich spreche mit ihr, denke an sie, beziehe sie mit ein. Wenn ich nicht weiter weiß, frage ich sie. Und das jederzeit und überall. Vor allem an Feiertagen mag es für manche tröstend sein, das Grab zu besuchen und eine Kleinigkeit mitzubringen, kurz innezuhalten und sich besonders nah zu fühlen.
Aber nicht jeder – mich eingeschlossen – findet Trost auf dem Friedhof. Für mich ist der Gang zum Grab meiner Mutter vor allem mit Schmerz verbunden und mit Erinnerungen an einen der schlimmsten Tage meines Lebens. Ich müsste viel öfter hin, müsste nach dem Rechten schauen, dafür Sorge tragen, dass die Blümchen alle wachsen und Unkraut rupfen. Kann ich aber nicht.
A good cry oder maximale Ablenkung – ich tue, was mir guttut
Stattdessen nutze ich die Zeit, um besonders fest an sie zu denken und mir Raum zu geben, in Erinnerungen zu schwelgen. Mal sind das Fotos, die ich mir ansehe, mal ist es ein selbstgekochtes Essen, das ich mit ihr verbinde. Mal suche ich unseren WhatsApp-Chat und höre mir Sprachnachrichten von ihr an und manchmal sind es auch Gespräche, die ich mit ihr führe und ihr dabei besonders ausführlich berichte, was bei mir alles los ist. Manchmal ist es aber auch einfach nur ein rührseliger Film, bei dem ich alles loslassen und hysterisch weinen kann.
Gelegentlich ist aber auch das einfach zu viel des Guten. Dann suche ich mir bewusst Dinge, die mir Mut geben und mich ablenken – und das sind dann meine Lieblings-Sitcom Friends, eine Verabredung zum Essen und Quatschen mit meinen besten Freundinnen und ein langes Facetime-Gespräch mit meiner Nichte.
Das Wichtigste ist: Ich erlaube mir, das zu tun, was mir guttut. Nichts anderes hätte Mama sich auch gewünscht.