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Karoline Herfurth im Interview: "Ich finde das Bild der Powerfrau furchtbar"

Karoline Herfurth ist aus der deutschen Filmlandschaft nicht mehr wegzudenken. Im Interview spricht sie mit uns über ihren neuesten Film, die Bedeutung von Familie und warum sie mit dem Wort "Powerfrau" so gar nichts anfangen kann.

Schauspielerin, Autorin und Regisseurin: Karoline Herfurth ist ein echtes Multitalent und seit mehr als 20 Jahren fester Bestandteil der deutschen Filmlandschaft. Als Regisseurin begeisterte sie mit Filmen wie "SMS für dich" und "Wunderschön" bereits ein Millionenpublikum. Als Schauspielerin überzeugt Karoline sowohl in Komödien als auch in ernsteren Streifen. In "Eine Million Minuten", ihrem neuesten Projekt, verkörpert sie die überlastete Mutter Vera Küper, die mit ihrem Mann Wolf und den zwei gemeinsamen Kindern auf der Suche nach einem entschleunigten Lebensmodell ist – eine Million Minuten, 694 Tage lang, erst in Thailand, dann in Island.

Wir haben mit Karoline nicht nur über ihren neuen Film gequatscht, sondern auch über Familienbilder und warum Frauen in unserer Gesellschaft noch viel mehr Anerkennung bekommen sollten.

Karoline Herfurth im Jolie-Interview

Liebe Karoline, "Eine Million Minuten" erzählt die wahre Geschichte der Familie Küper. Wie hast du dich auf deine Rolle als Vera vorbereitet?

Ich habe die echten Küpers treffen dürfen. Vera Küper war eine ganz besondere Begegnung für mich, eine unglaubliche Inspiration. Wir waren wie zwei Magnete und haben drei Stunden ununterbrochen geredet. Nach dem Gespräch hatte ich das Gefühl, voller Sonne zu sein. So ist Vera und das hat mich die ganze Reise über begleitet. Es war so schön, mit dieser Lebensfreude und Neugier in die Welt zu gucken, dass ich dieses Lebensgefühl nicht mehr so ganz hergeben will.

Während eures Drehs ging es in zwei Länder, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Thailand und Island. Wo hat es dir besser gefallen?

Das kann ich gar nicht sagen. Diese Reise war ein richtiges Abenteuer mit so vielen unterschiedlichen und wundervollen Eindrücken. Island ist so anders als Thailand und ich habe einfach insgesamt gemerkt, wie wunderschön es ist, die Welt zu sehen.


Und welche Szene ist dir besonders in Erinnerung geblieben?

Oh Gott, so viele! Der blaue Ara in diesem traumhaften Lokal über dem Wasser, die Fahrt durch die Felsen mit dem Wassertaxi über den Lichtern von Bangkok… Und auch, als es in Island plötzlich anfing zu schneien und Rúrik und ich nicht mehr aufhören konnten zu lachen.

Karoline Herfurth und Rúrik Gíslason© Warner Bros
Auf der Suche nach einem anderen Lebensmodell verschlägt es die Küpers nach Island – dort treffen sie auf den sympathischen Einar (Rúrik Gíslason).

Beruflich bist du ja mehr als eingespannt: 2022 kamen mit "Wunderschön" und "Einfach mal was Schönes" gleich zwei Filme in die Kinos, bei denen du Regie geführt hast. Nun auch noch deine Hauptrolle in "Eine Million Minuten". Wie schaffst du es bei all den Projekten, trotzdem Zeit für deine Familie zu finden?

Das geht nur mit viel Hilfe. Anders ist es nicht zu schaffen und ich finde das Bild der Powerfrau, die alles unter einen Hut bekommt, furchtbar! Weil es die Illusion erschafft, dass das überhaupt möglich wäre. Es gibt Phasen in meinem Berufsleben, da geht gar nichts anderes als arbeiten. Glücklicherweise kann ich dafür auch immer wieder Phasen schaffen, in denen ich die Arbeit sehr reduzieren und mich hauptsächlich meinem Privatleben widmen kann.


Wie wichtig ist dir eine Work-Life-Balance?

Ich halte die Frage, wie viel Zeit wir in unseren Beruf investieren wollen und wie viel in unser restliches Leben, für eine der großen Fragen unserer Zeit. Natürlich muss man sich "Freizeit" leisten können. Aber momentan profitieren sehr wenige Menschen überproportional von der Arbeits- und Lebenszeit vieler Menschen. Das ist gesellschaftlich definitiv nicht zu Ende gedacht. Dazu kommt, dass unbezahlte Arbeit nicht als Arbeitszeit gewertet wird, was dringend notwendig ist. 

Apropos unbezahlte Arbeit: Statistisch gesehen leisten Frauen immer noch die meiste Sorgearbeit in der Familie – genau wie Vera Küper. Neben der Kinderbetreuung muss auch noch der Haushalt gemacht werden. Wie können Frauen sich deiner Meinung nach vor Überlastung schützen?

Schwer, wenn sie nicht mehr politisch und gesellschaftlich geschützt werden. Es ist ein Umdenken notwendig und eine tatsächliche strukturelle Veränderung. Allein an der Anerkennung dieses Umstands hapert es. Viele Frauen verweigern sich diesem Strudel ja schon bewusst, indem sie keine Lust mehr auf diese Rolle haben und sich gegen Kinder entscheiden. Die Entscheidung für eine Familie bedeutet für Frauen nach wie vor einen sozialen Abstieg und finanzielle Abhängigkeit. 

Das ist vielen werdenden Eltern vermutlich gar nicht bewusst...

Genau, niemand bereitet Paare darauf vor, dass sie mit dem Eintritt in die Elternschaft mit großer Wahrscheinlichkeit in alte Rollenbilder verfallen. Viele Elternpaare scheitern daran und werden viel zu viel allein gelassen. Diese Tatsachen ins Bewusstsein zu holen, ist der erste Schritt. Eine stärkere politische Lobby für diese Themen zu bilden, der Zweite.

Karoline Herfurth in "1 Million Minuten"© Warner Bros
In Thailand sucht Familie Küper nach Entlastung – doch auch am anderen Ende der Welt warten Herausforderungen auf die junge Familie.

Erst am Ende des Films realisiert Wolf, wie viel unsichtbare Arbeit seine Frau in den letzten Jahren eigentlich geleistet hat. Glaubst du, dass die Anstrengungen von Frauen heute noch oft übersehen werden?

Definitiv. Sogar von ihnen selbst. Nicht umsonst wachsen Frauen grundsätzlich in dem Selbstverständnis auf, eher sich selbst infrage zu stellen, als die Umstände. Ich empfehle dazu das Buch "Unsichtbare Frauen" von Caroline Criado-Perez. Das ist ein absoluter Augenöffner, lässt keine Zweifel offen und erklärt so manche Erschöpfung. 


Viele Frauen machen sich auch selbst Vorwürfe, weil sie denken, bestimmten gesellschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht zu werden.

Ja leider. Es ist eine unglaubliche Erleichterung, zu verstehen, dass nicht das eigene Versagen der Grund dafür ist, dass alles überwältigend ist. Wir müssen verstehen, dass es nicht persönliches Unvermögen ist, sondern gesellschaftliche Ignoranz. Dass die Lebenswirklichkeiten von Frauen politisch kaum eine Rolle spielen und dadurch mit unglaublich vielen Hürden versehen sind. Dass diese ganzen Ansprüche, wie man richtig Mutter zu sein hat, Quatsch und sehr oft übertrieben sind. 

So viele Menschen, oft auch im engsten Umkreis, gaslighten lieber, als die Überlastung von Müttern und Frauen in unserer Gesellschaft anzuerkennen. Aber: Ihr übertreibt nicht, ihr seid auch nicht empfindlich oder schwach – ihr habt recht.


Vielen Dank für das Gespräch!

"Eine Million Minuten" ist ab dem 1. Februar 2024 in den deutschen Kinos zu sehen.

Verwendete Quelle: Eigenes Interview