Flüchtlinge: Mein größter Wunsch

Mein größter Wunsch

Was braucht man, wenn man sein gesamtes Leben zurücklassen musste? Zum Jahreswechsel haben wir Flüchtlinge gefragt, von welchen (materiellen) Dingen sie träumen.

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„Ich möchte Sicherheit für meine Familie.“

„Mein Vater hat keine Arbeit“, erzählt die zwölf Jahre alte Sarah aus Albanien, die ein bisschen Englisch spricht. „Wir haben kein Geld. Für nichts – nicht für Essen, nicht für Kleidung, nicht für Schulbücher.“ Seit gut einem Jahr gehen sie und ihre beiden Geschwister nicht mehr in die Schule. „Wir konnten uns den Bus nicht mehr leisten und auch nicht die Stifte, Hefte und Bücher, und dabei lerne ich doch so gerne.“ Aussichtslos schien das Leben in Albanien, einem der ärmsten Länder Europas. Das durchschnittliche Jahreseinkommen beträgt rund 3.000 Euro, die Arbeitslosenquote wird zwischen 25 und 40 Prozent geschätzt.

Albanien zählt zwar als sicheres Herkunftsland, aber viele Menschen wollen einfach nur weg. 67 Prozent der 14- bis 29-Jährigen sehen laut einer Studie keine Zukunft in dem Land. Auch die fünfköpfige Familie aus Shkodra machte sich mit dem Bus auf die Flucht. „Deutschland ist gut und die Menschen sind diszipliniert“, lässt Jetmir seine Tochter übersetzen. Seit September wohnen sie in einer Gemeinschaftsunterkunft in München. Sie schlafen in Stockbetten in einem alten Industriegebäude mit etwa 40 anderen Familien. Dicht an dicht gedrängt. Zwischen den Betten stehen Tüten mit Habseligkeiten – sonst hat die Familie nichts. „Alles was ich möchte, ist ein sicheres Leben für meine Familie, eine Zukunft für meine Kinder, und dafür brauche ich einen Job“, so der Vater. Sein Wunsch: in Deutschland bleiben und Arbeit finden. Er könne zum Beispiel auf dem Bau arbeiten. „Ich kann hart arbeiten.“ Und seine drei Kinder, was wünschen die sich? Sie wollen kein Spielzeug und auch keine schicken Klamotten. Sarah: „Wir wollen so gerne wieder zur Schule gehen.“

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Joshua (10) aus dem Kongo hätte gerne eine Playstation.

„Ich mag den Sportunterricht.“

Joshua kam vor fünf Monaten mit seiner Mutter Dorcas aus dem Kongo. Zwei Jahre dauerte die Flucht aus dem Land, in dem sich konkurrierende Bürgerkriegsparteien, Armeen und Milizen immer wieder Gefechte liefern. „Es war Krieg“, sagt Joshua und schaut aus dem Fenster. Beinahe jedes fünfte Flüchtlingskind gilt als traumatisiert, schätzt die Bundespsychotherapeutenkammer. Viele von ihnen sind Zeugen oder selbst Opfer von Gewalttaten geworden. „Die Lage war sehr gefährlich“, sagt seine 27 Jahre alte Mutter. „Es gab Kämpfe, keine Arbeit, keine Schulen.“ Joshua und Dorcas flohen zuerst nach Südafrika und von dort ging es weiter mit dem Flugzeug in die Türkei, dann mit einem Schlauchboot nach Griechenland und weiter über die Balkanroute, zu Fuß, mit Bussen und Zügen. „Kannst du dich an die Flucht erinnern?“ „Nein“, sagt Joshua knapp und rutscht unruhig auf seinem Stuhl in der Gemeinschaftsküche hin und her. Aber er erzählt gerne von der neuen Schule auf dem Land. „Toll“ sei es dort. „Ich mag den Sportunterricht.“ Joshua geht erst seit ein paar Wochen in die dritte Klasse. „Ich habe schon einen Freund gefunden, ein Junge aus den Philippinen.“ Bald darf er auch in eine Karate-Schule gehen, das hat eine Ehrenamtliche für ihn organisiert. Über die Frage, was er sich wünsche, muss er nicht lange nachdenken: „Ich hätte gerne ein eigenes Zimmer und eine Playstation“, sagt er und lacht verschmitzt – er ist eben ein ganz normaler 10-jähriger Junge.  

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Baye-Fall (31) aus dem Senegal hofft auf Arbeit als Techniker.

„Meine Familie braucht meine Unterstützung."

Baye-Fall kommt aus Dakar und hatte Ärger mit seiner Frau. „Meine Frau hat einen neuen Mann und der hat immer wieder gedroht, mich umzubringen“, erzählt er und deutet mit zwei Fingern eine Pistole an. Im Human Development Index (HDI) der Vereinten Nationen belegt Senegal Rang 154 von 186. Das Land in Westafrika kämpft mit einer Analphabetenrate von 50 Prozent, einer schlechten Gesundheitsversorgung und Armut – 20 Prozent der Bevölkerung sind unterernährt. Baye-Fall jedenfalls entschloss sich zu gehen und flog in die Türkei. Er schlug sich einige Zeit mit Jobs als Fernseh-, Computer- und Handytechniker durch. Er habe wenig Geld verdient in der türkischen Millionenstadt, in die immer mehr Flüchtlinge kommen.

„Das Leben war hart, manchmal schlief ich auf der Straße“, erzählt er. Daher entschloss er sich erneut zur Flucht: Er reiste an die türkische Westküste und paddelte mit sieben anderen Flüchtlingen in einem kleinen Schlauchboot nach Griechenland. „Das Boot war sehr klein, wir waren sieben Stunden auf dem Meer.“ Seit Kurzem ist er in München in einer Unterkunft mit etwa 600 anderen Menschen untergebracht und wartet auf sein Interview bei den Behörden. Das Leben im Camp besteht aus Schlafen, Essen und Warten. Überall sitzen Menschen und schauen ins Leere. „Ich bin der Älteste. Meine Familie im Senegal braucht meine Unterstützung, ich möchte ihnen Geld schicken, aber dafür brauche ich Arbeit. Fernsehgeräte, Handys, Computer, ich kann alles reparieren.“

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