"Gehört diese Hose wirklich so eng?" ruft mein Freund mir aus dem Nebenzimmer zu, als er sich in seine minikleine Lackshorts zwängt. Der prüfende Blick auf seine nagelneue Hot Pants, die er sich eine Stunde zuvor noch schnell in einem einschlägigen BDSM-Laden zugelegt hatte, löst in mir eher Schmunzeln aus – keine unbändige Lust. Von unserer Mission in der heutigen Nacht lassen wir uns trotzdem nicht abbringen. Die lautet: gemeinsam auf eine Kinky Party gehen. Die erste Fetisch-Veranstaltung unseres Lebens.
Die Gefühle schwanken zwischen Nervosität, Einschüchterung und jeder Menge Neugier. Welche Leute werden dort sein? Werde ich mich wohlfühlen? Bin ich überhaupt angemessen gekleidet? Und was wird diese Kinky Party zwischen mir und meinem Freund auslösen? Eifersucht? Lust auf einen Dreier? Fragen über Fragen. Apropos Fragen: Die wohl drängendste stellte sich uns beim Blick auf die Rückseite des Tickets. In Großbuchstaben stand dort geschrieben "Kaviar-Spiele nicht erlaubt". Dass es dabei ganz sicher nicht um Fischeier ging, sollte ich später noch herausfinden.
Meine erste Kinky Party war ein Gefühl der Befreiung
Wir befinden uns – wie sollte es anders sein – auf dem berühmt berüchtigten Hamburger Kiez. Hier soll die erste Kinky Party meines Lebens stattfinden. Das heißt, wenn ich überhaupt Zutritt zur Party bekomme. Die Einlassregeln der Veranstalter sind nämlich so hart wie die zahlreichen Penisse, die ich später noch zu Gesicht bekommen werde – aber erstmal von vorne. Ich zeige ein explizites Foto von mir in meinem hautengen Netzkleid, klar, der Türsteher kann schließlich an meiner Herbstjacke nicht erkennen, ob ich den Dresscode erfülle. Nun gut. Ich halte mein Handy hin, zeige das Foto, zeige das Ticket, Stempel auf die Hand.
Erster Eindruck? Auf Awareness wird hier enorm viel Wert gelegt. Jede Person soll sich in diesen Räumen zu 100 Prozent wohlfühlen. Die weiblich gelesenen Personen tragen kaum Stoff am Körper, trotzdem werden sie weder gegen ihren Willen angefasst noch übergriffig angetanzt. Leuchtbändchen am Handgelenk zeigen je nach gewählter Farbe an, wonach gerade gesucht wird. Rotes Band? "Ich habe Lust auf Sex". Blaues Band? "Ich bin neu hier". Grünes Band? "Flirte mich gerne an". Ich hatte kurioserweise sofort das Gefühl, aufatmen zu können.
Zwischen Lack, Leder und Trash TV: Wie ich plötzlich einem Realitystar beim Sex zusah
Ich betrete also den dunklen Raum mit der Aufschrift "Play Area". Meine bis dato so unschuldigen Augen werden nicht verschont. Ein Blick nach links und ich sehe eine Frau, die im Doggystyle penetriert wird. Ein Blick nach rechts und ich sehe ein Pärchen, das sich leidenschaftlich küsst und dabei zusieht, wie eben erwähnte Frau Doggystyle penetriert wird. Kurios. Interessant. Erregend? Gerade noch nicht.
Die "Play Area", zu deutsch "Spielwiese" ist der Bereich, in dem, naja, gespielt wird – also sexuelle Handlungen vollzogen werden dürfen. Große Ledersofas dienen als Liegefläche, verwinkelte Gänge führen in dunkle Kammern und in jeder Ecke liegen kostenlose Kondome, Lecktücher und andere Hygieneartikel bereit. Dort wird gefingert, geleckt und geblasen, es wird Gruppensex praktiziert und dieser Gruppensex wird von vielen lustvoll zuschauenden Augen begleitet. Komisch scheint das für die Befriedigenden und Befriedigten nicht zu sein. Ihre Lust scheint durch die Beobachtenden nur noch weiter befeuert zu werden. Für uns ist es eher eine Mischung aus Faszination und Überreizung. "Menschen beim Sex klingen anders, als man es sich vorstellt", stammelt mein Partner mir leise ins Ohr.
So langsam finden wir uns aber in das ungewohnte Setting ein. Nach etwa einer Stunde vergeht auch der "Wegguck-Reflex" inklusive der schamschwangeren Blicke, die wir uns zu Beginn noch verzweifelt zuwarfen. Es stellt sich ein unerwarteter Zustand ein: Normalität. Dieses Gefühl ist allerdings kaum zu Ende gefühlt, da erwartet uns im "Playroom" nebenan schon die nächste Überraschung. Ein Reality-Star, den ich aus verschiedenen TV-Formaten und Soaps nur zu gut kenne, guckt mich an. So weit, so normal in meinem Beruf als Redakteurin. Ein Detail ist allerdings neu: Während ich diesem Z-Promi ins Gesicht blicke, wird er gerade von seiner Frau – ein ebenfalls unter Trash TV-Genießenden nicht unbekannter Name – oral beglückt. Nebenbei massiert er einer wiederum anderen Frau die Brüste. Ein freches (und eindeutig an mich gerichtetes) Augenzwinkern gibt mir endgültig den Rest und ich stürme, meinen Freund hinter mir herziehend, aus dem Club. Ich brauche eine Pause.
Menschen beim Sex klingen anders, als man es sich vorstellt
Meine Hände wissen nichts mit sich anzufangen. Handys werden zu Beginn an der Garderobe abgegeben, unerlaubte Foto- oder Videoaufnahmen dürfen logischerweise nicht riskiert werden. Vor Aufregung hechelnd erkläre ich meinem Freund, wen wir da gerade gesehen haben – und was das doch für ein Skandal sei – werde aber ebenso schnell wieder zur Räson gebracht. "Das sind auch nur Menschen", ordnet mein Freund abgeklärt ein, "auch Realitystars dürfen ihre Kinks ausleben". Ich scheine es plötzlich mit einem routinierten und gelassenen Sexparty-Besucher zu tun zu haben.
Wenn die größte Angst wahr wird: Ich treffe eine Bekannte auf der Sex-Party
Als wäre dieses unverhoffte Meet and Greet nicht genug für einen Abend, bekommen wir in unserer kleinen Verschnaufpause einen weiteren Besuch abgestattet. Es ist ein ebenfalls bekanntes Gesicht. Dieses Mal legen die Gangbang-Götter aber noch einen drauf: Eine alte Schulfreundin gesellt sich zu uns. Seit Jahren schon haben wir keinen Kontakt, alleine das gegenseitige Folgen auf Instagram nötigt uns dazu, uns überschwänglich freundlich und mit einer von einem piepsigen "Was machst duuuu denn hier" untermalten Umarmung zu begrüßen. Etwas Smalltalk à la "Ja, ist auch einfach mal was anderes", später trennen sich unsere Wege wieder. Ich sag ja immer: Schlecht für mich, gut für die Kolumne. Das war ein Scherz, das hier ist die erste Kolumne dieser Reihe. Ich werde es mir trotzdem angewöhnen zu sagen.
Mein Freund hat eine fremde Frau geküsst. Fazit?
Nur zugeguckt haben wir auf der Kinky Party aber übrigens auch nicht. Es wurde geflirtet und geknutscht und gefummelt, gemeinsam mit einer anderen Person, alleine mit einer anderen Person, mit einem anderen Pärchen – alles ist erlaubt in diesem Kontext, solange es besprochen wird. Die Kinky Szene ist für uns in diesem Sinne wie eine Blase, in der bestimmte Dinge in Ordnung sind, die es in unserer ansonsten monogamen Beziehung nicht sind.
Ich muss zugeben, so viele entblößte Genitalien auf einem Haufen zu sehen, ist erstmal befremdlich intim. Fremde Menschen beim Sex zu sehen (und zu hören!) noch befremdlicher. Im zweiten Moment aber schleicht sich eine Vertrautheit ein, oder eher ein seltsam tiefes Vertrauen in die Menschen dort, denn Übergriffigkeit erfahre ich als Frau in diesem Setting – anders als auf regulären Partys – nicht. Der Vibe ist offen, ungehemmt und von unglaublich viel Akzeptanz geprägt. Hier wird wirklich niemand verurteilt.
Wie ich das nun im Nachhinein alles finde? Beim brühwarmen Debriefing am Küchentisch kamen mein Freund und ich am nächsten Morgen (leicht verkatert und noch immer überstimuliert von all den neuen Eindrücken) zu dem Schluss, dass das sicher nicht unsere letzte Kinky Party gewesen sein wird. Den sexuellen Horizont gemeinsam als Paar zu erweitern, sorgt bei uns nämlich dafür, dass wir noch intensiver und offener kommunizieren. Über Bedürfnisse, Grenzen und die Freiheit, unser Beziehungskonzept eigenmächtig zu gestalten. Gefühle der Eifersucht kamen nicht auf – und das obwohl mein Freund eine andere Frau geküsst hat. Ich hab sie schließlich auch geküsst.
Klar ist aber auch, dass für eine solche Veranstaltung erstmal die sexuelle Komfortzone verlassen werden muss. Fühlt man sich vorwiegend unwohl, sollte dieses Befinden respektiert und die Party einfach als Erfahrung einsortiert werden. Zur Beruhigung: Das nicht erlaubte "Kaviar-Play" ist ein Codewort für Spiele mit Fäkalien. Eine derartige Überraschung wird es bei aller Toleranz also zumindest nicht geben.
Der Anblick eines in einer Hundemaske steckenden Sexsklaven, der an einer Leine auf dem Boden vorbeikrabbelt, muss trotzdem nicht für jeden ein passendes Samstagabendprogramm sein. Ich könnte jetzt sagen "Jedem Tierchen sein Pläsierchen" – aber ich glaube, Leute, die auf Kinky Partys gehen, sagen so etwas nicht.